Titel: Wird AI den DJ ersetzen – oder nur besser machen?
Tags: ai, music, product, discuss
Seit Jahren lege ich auf Events auf. Parallel beobachte ich, wie generative AI, Recommender-Engines und Realtime-Analysis in die Booth drängen. Ersetzt das in Zukunft den Menschen? Meine kurze, praxisnahe Einordnung – und ich bin gespannt auf eure Gegenargumente.
Wo AI heute stark ist
- Katalog-Wissen & Tempo-Matching: Key/BPM-Erkennung, Harmonic Mixing, Autogain – alles zuverlässig. Modelle erkennen sogar Energielevel und Stimmungen (valence/arousal) aus dem Audiosignal.
- Schnelles Kuratieren: Für einen Style („90s RnB warm-up, 95–100 BPM, female vocal heavy“) baut ein Recommender in Sekunden solide Playlisten.
- Routine-Tasks automatisieren: Hot-cue-Vorschläge, Beatgrids, Dubletten checken, Smart Crates, On-the-fly-Stems (Vocal/Drums/Bass) zum Live-Remixen.
Wo AI aktuell scheitert
- Mikro-Feedback im Raum: Menschen reagieren nicht linear. 10 Leute singen, 40 nicken, 5 gehen an die Bar – und trotzdem ist es der perfekte Moment für einen unerwarteten Cut. Diese non-verbalen Signale plus Venue-Eigenheiten (Akustik, Bar-Position, Altersmix, Tageszeit) sind schwer zu modellieren.
- Kontext & Politik: Geburtstag vs. Award-Night vs. Werkstatt-Sommerfest – mit identischer Playlist wirken dieselben Songs extrem anders. Dazu kommen No-Go’s, Moderationston, interne „Do-Not-Play“-Listen, spontane Reden. Das ist mehr Sozialkompetenz als Sortieralgorithmus.
- Verantwortung & Haftung: GEMA/Lizenzen, laute/leisere Zonen, Safety (z. B. Abbruch bei medizinischem Notfall). Wer trägt die Accountability, wenn ein System „falsch“ entscheidet?
Realistische Zukunft: „Centaur-DJ“
Wie im Schach wahrscheinlich nicht „AI oder Mensch“, sondern „AI mit Mensch“. Ein paar konkrete Workflows, die heute schon Mehrwert bringen:
- Crowd-Radar statt Bauchgefühl allein
- Edge-Cam + On-Device-Pose-Estimation → Bewegungsintensität als Signal.
- Optional: dB-Meter + Bar-Queue-Länge.
- Ergebnis: ein neutrales „Energie-Score“, das neben meinem Gefühl läuft, nicht darüber.
- Agent für Set-Bau
- Prompt: „Warm-up 30 min, 92–100 BPM, Soulful/Neo-Soul, kein explicit.“
- Output: 25 Tracks inkl. Key/BPM/Transition-Notizen.
- Ich streiche/ergänze 30 % – die Restzeit investiere ich in Edits, Mashups, MC-Momente.
- Live-„What-If“-Simulation
- Zwei nächste Optionen previewen lassen: „Wenn jetzt Track A → vorhergesagte Energie +0.2, wenn B → −0.1, wenn C → +0.4 aber höheres Drop-off-Risiko“.
- Ich entscheide – die Maschine liefert Telemetrie.
- Compliance-Guardrails
- Filterlisten (explicit, political), Lautstärke-Limiter, harte Curfew-Regeln als Policies, die das System nie bricht – selbst wenn ich im Flow bin.
- After-Action Review
- Automatisches Set-Log mit Zeitstempeln, Mix-Notizen, Crowd-Score.
- Daraus lernt mein Stil, nicht ein globaler Durchschnitt.
Wird AI den Menschen ersetzen?
Bei reinen Standard-Gigs mit klarer Zielgruppe? Teilweise, ja: AI-Playlists plus Light-Controller können „funktional okay“ sein.
Bei Premium-Events, bei denen Empathie, Timing, Moderation und Markenverständnis zählen? Sehr unwahrscheinlich. Der Wert liegt im Kurations-Urteil und im sozialen Lesen des Raums – das ist genau der Teil, der schwer zu automatisieren ist.
Offene Punkte, bei denen ich die DEV-Community brauche
- Evaluation: Welche Metriken taugen wirklich? Tanzfläche-Dichte, Verweildauer, Bar-Umsatz, Lautstärke-Reaktion, Umfragen?
- Edge vs. Cloud: Latenz, Datenschutz (Gesichter!), Offline-Sicherheit. Wer hat minimal-invasive Setups gebaut?
- Rechte & Ethik: Dataset-Bias (Genre-Benachteiligung), Künstlervergütung, rechtssichere Nutzung von Stems.
- Toolchain: Welche Libraries/Modelle nutzt ihr für Realtime-Audio-Features und Stimmungs-Schätzung? Erfahrungen mit On-Device-TFLite/CoreML?
Transparenz-Hinweis
Ich arbeite als Event-DJ/Agentur und teste solche Hybrid-Workflows in der Praxis. Wer neugierig ist, wie das „Centaur-Setup“ im Corporate-Kontext aussieht: Ich habe ein kurzes Case-Snippet zusammengefasst – kein Sales-Pitch, eher Prozess-Skizze mit Lessons Learned: https://25heartbeats.de
Ich freue mich auf eure Erfahrungen, Demos, Gegenbeispiele – und besonders auf harte Kritik an den vorgeschlagenen Metriken. Daddy.
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